Illegale Clubs sind nicht tot, es gibt sie wieder. Man muss sie nur suchen – und warten können
Fritz Schaap
Fräulein Stelzlaf feiert im Erdgeschoss eines alten Kreuzberger Fabrikhauses. Die Adresse ist geheim, im weitläufigen Hinterhof drängen sich trotzdem große Menschentrauben vor Bauzäunen und warten in der Kälte auf Einlass. Im Moment kommt niemand mehr rein. Eine Stunde, zwei Stunden lang, keiner weiß es, man wartet trotzdem.
Von Fräulein Stelzlafs Partys spricht man sogar in Köln, in München, in Hamburg. Man bucht ihre DJ’s, man kommt ihretwegen nach Berlin. Sie ist die große Rock-‘n'-Rollerin der Berliner Elektroszene, und da Rock ‚n‘ Roll als Jugendkultur auch immer etwas mit Abgrenzung zu tun hat, sucht man nach ihren Partys vergeblich in einschlägigen Magazinen. Auf der Straße vor ihrem Haus sind die vielen Taxis das einzige Indiz. Man will keine Öffentlichkeit, man braucht sie nicht.
Interviews und Geld
Es ist nur ein paar Jahre her, da erfasste eine Art Welle der Legalisierung die Berliner Clubszene. Das Rio, das Cookies, das Rodeo, all diese Läden wurden legal, professionell, die Betreiber gaben Interviews. Die Abgrenzung, das Unverwechselbare und auch das Familiäre, das eine geschlossene Szene immer auszeichnet, rückten in den Hintergrund, Geld und Öffentlichkeit wurden wichtiger.
Es gab Leute, die darin ein Ende der Nachwende-Szene sahen. Statt des Endes kam der Neuanfang. Die Ästhetik der Lounges wurde verabschiedet, eine neue erschaffen, ohne Lizenzen, illegal. Nichts hat diesen neuen Untergrund so geprägt wie die Bar 25 am Spreeufer unweit der Jannowitzbrücke mit ihrem improvisierten, sich ständig erweiternden Hütten-Ensemble.
Hat man bei Fräulein Stelzlaf die Schlange hinter sich gelassen, kommt man in eine Einfahrt. Hinter einer Eisentür öffnet sich ein Raum mit einer Bühne, ein kleines Podest in der Mitte, auf drei Seiten schwarz verhangen. Mal spielt sich hier um drei Uhr nachts eine Balkanbeats-Band in schweißtreibende Ekstase, mal eine Elektro-Combo mit Bass und Schlagzeug. Gegenüber ist die Bar. Aus der Mitte des Brettertresens ragt ein nackter Baum, hinter der Bar stehen Jungs mit zerrissenen Jeans und Krawatten, Kapitänsmützen und Trainingshosen.
Stil wird hier anders definiert als in den arrivierten, fast schon ordentlichen Elektro-Lokalitäten. Welchen Raum man auch betritt auf dem Weg durch schwitzende und tanzende Massen – überall gibt es andere Musikgenres, von Minimal bis Rock. Eine Seltenheit in Berlins recht dogmatischer Elektroszene. Und keine Party sieht aus wie die andere, ständig wird an der Lokalität gearbeitet.
Die Szene beschränkt sich nicht auf Kreuzberg. In Friedrichshain entstanden einige Läden, die ebenfalls darauf bestehen, dass ihre Existenz nur über Mund-Propaganda kommuniziert wird. „Bitte keine Presse“, heißt es einstimmig. Vor einigen Monaten wurde ein altes, eigentlich dem Abriss geweihtes Haus gepachtet, in den oberen Etagen richtete man Wohnungen und Ateliers ein. Ins Erdgeschoss kam ein Kino, in die beiden Wohnungen der ersten Etage ein Club mit sieben Räumen. Die Hochbetten ließ man drin, Bars wurden dazugebaut. Nach und nach besorgte man Sofas und Himmelbetten, die mitten in unverputzten Räumen standen, legte Matratzen auf die Hochbetten und beschaffte Kohlen für die Kachelöfen. Auch hier gibt es Andrang, selbst wenn die Sonne schon wieder scheint.
Nicht weit von diesem Haus entfernt sind die Werbetafeln, hinter denen sich ein weiterer Club verbirgt, den nur Eingeweihte finden können. Durch eine kleine schwarze Tür tritt man in einen kleinen Wald, in dem alte Karussellautos an Bäumen lehnen und sich Gäste an Lagerfeuern wärmen. Eine große, flache Holzhütte steht dort, darin eine Bar, natürlich aus Brettern, ein DJ-Pult und die obligatorischen alten Sofas. Auf denen verschwinden Menschen hinter Rauchschwaden. Auch hier kommt Elektro aus den Boxen, alles wirkt wie eine große Familienfeier. Man kennt sich, grüßt hier und dort und trinkt an der Bar Kurze zusammen.
Die Menschen, die an diesen Orten ausgehen, sind anders als im Cookies oder im Week-End. Man trifft Frauen in Seidenkleidern, die ihre Eltern in Woodstock getragen haben könnten, Männer mit Dreadlocks und wilden Gemälden aus silberner und roter Schminke im Gesicht, Männer in Nadelstreifenanzügen und Frauen in goldenen Leggins mit Leoparden-Handschuhen. Besonders ernst nimmt sich hier niemand, keiner steht cool herum, ob nun Galerist, Architekt, Student, Barkeeper oder Mechaniker. Ob aus Mitte, Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Friedrichshain oder Köpenick.
Vielleicht ist das Berlins Antwort auf den Karneval. Auf jeden Fall ist es die Antwort auf all die, die unken, der Rock ‚n‘ Roll im Nachtleben sei tot. Der Untergrund lebt, man muss ihn nur suchen. Und nicht zwangsläufig Gitarren erwarten.
via tanith – mal wieder